Wenn Schrottkübel erblühen
„Urban Gardening“ – eine neue Grünkultur
In der Nacht, in einer großen Stadt – ein paar junge Leute schleichen, bewaffnet mit selbstgebauten Bomben, durch die Straßen. Ziel des Anschlags: Brachflächen. Die Waffen: getrocknete Kugeln aus Erde, Samen und Ton. Das Verbrechen: ziviler Ungehorsam!
Ob diese Aktion ein subtiler Protest gegen die asphaltierten und zubetonierten Städte oder gegen die industrialisierte Landwirtschaft ist oder schlicht nur ein bisschen Abenteuerromantik? Das wilde Gärtnern oder „Guerilla Gardening“ soll gegen die Hässlichkeit manches städtischen Lebenumfelds helfen. „Garden against the odds“, wie Richard Reynolds auf seinem Blog anregt. Der Engländer hatte nächtens in den trostlosen Lodoner Hinterhof, auf den er täglich blicken musste, ohne Genehmigung ein paar Blümchen gepflanzt, das war für ihn der Beginn. Den Keim des Guerilla Gardening senkten Globalisierungskritiker im Mai 2000 bei einer Pflanzaktion auf dem Parliament Square in die städtische Erde.
Die Idee breitete sich aus wie reifer Löwenzahn an einem windigen Sommertag. Denn jeder kennt öde Orte in seiner Umgebung, kommerzielle Nutzflächen, die niemand nutzt und deren Anblick depressiv macht. Heute fliegen in Tokyo, Sao Paolo oder Mönchengladbach „Samenbomben“ mit Gräser- und Blumenkeimlingen über Zäune auf leerstehende Flächen. In herumstehende Schrottkübel werden Krokuszwiebeln gesteckt, Baumscheiben vor der Haustür werden liebevoll gehegt und auf Brachland ranken sich illegale Bohnen in die Höhe. Die Bewegung hat ihre eigenen Gartenratgeber: Wenn man Betonwände mit einem Graffiti aus Buttermilch und Moos bespritzt, ergrünen Botschaften auf der Wand, beschreibt eine Aktivistin im Internet. Blogger wie sie tauschen dort Fotos ihrer geglückten Aktionen aus.
Radieschen und Sonnenblumen
Weniger abenteuerlich und legaler geht es beim „Urban Gardening“, dem „Stadtgärtnern“ zu. Wer nicht das Geld und die Zeit hat, einen ganzen Schrebergarten zu bewirtschaften, der kann auf dem östlichen Teil des derzeit noch brachliegenden Tempelhofer Flugfelds in Berlin eine Kiste für ein Hochbeet bauen und darin Radieschen oder Sonnenblumen ziehen.
Eine kleine Bank aus Holzresten, ein Windrädchen oder ein Mast mit Phantasiefahne – fertig ist die Laube. Seit April 2011 sind hier 300 Hochbeete entstanden, und es ist ein kommunikativer Ort für Jung, Alt, Touristen und die internationale Nachbarschaft im dahinter liegenden Schillerkiez geworden. Bedingung ist, dass sich die Beete wieder problemlos abbauen lassen. Da der Bürgermeister noch nicht weiß, was auf der schönen freien Fläche mitten in Berlin stattfinden soll, sind solche Projekte nur als Zwischennutzung vorgesehen. Eine der Initiativen bezieht sich in ihrem Namen auf die Allmenden, eine mittelalterliche Rechtsform der gemeinschaftlich genutzte Flächen.
Ähnliche, auch als „Urban Farming“, urbane Landwirtschaft, bezeichnete Projekte, entstehen weltweit in Metropolen. Für wenig Geld können, etwa in New York, kleine Flächen zur Zwischennutzung gemietet werden. So gedeiht eine bescheidene Gemüsekultur in den Städten, während draußen auf den landwirtschaftlichen Flächen zunehmend Pflanzen für den Treibstoff wachsen.
Katholische Sonntagszeitung, 42/2013.