Spiritualität wachsen lassen
Zunehmend fragen Menschen nach einer persönlichen Geistlichen Begleitung, um mehr über den Glauben zu erfahren oder ihre Spiritualität zu vertiefen. An erster Stelle der Geistlichen Begleitung steht das „wohlwollende Zuhören“, sagt Jesuitenpater Hermann Breulmann.
Herr Pater Breulmann, was muss ein Begleiter können und wie viel Psychologe muss er sein?
Er muss, glaube ich, für sich selbst einen Zugang zu den so genannten Affekten haben. Nicht nur zum Kopf und zum Gefühl sondern, wie Ignatius sagt, zu den Affekten, nämlich Freude, Zorn, Trauer… Dazu muss er erst einmal für sich ein Verhältnis finden, um andere begleiten zu können. Er sollte die Grundkonstanten des menschlichen Auf und Ab kennen. Aber er darf die Gottesfrage nicht aus den Augen verlieren. Das ist der Grund, warum Menschen kommen: um das Geheimnis ihres Lebens, das, was sie übersteigt, in ihren Lebenswegen zu entdecken, zu spüren, und auch vielleicht zu finden.
Wer kommt zu Ihnen?
Zunächst ist es eine Typfrage. Wer zieht wen an, zu wem hat man spontan Vertrauen. Ich habe beispielsweise sehr viel geistliche Begleitung mit Menschen gemacht, die entweder am Rande der Kirche oder gar nicht kirchlich gebunden sind. Die so etwas wie eine Sehnsucht spüren nach etwas, das größer ist als sie. Sie fragen „Könne ich einmal zu Ihnen kommen“, und dann sprechen wir ab, ob und wie wir die Treffen verstetigen wollen.
Was sind die Bedürfnisse der Anfragenden?
Nach der christlichen und insbesondere der ignatianischen Spiritualität, inkarniert sich Gott in den Lebensgeschichten der Menschen. Der Stoff ist das, was sich im alltäglichen Leben ergibt oder ergeben hat. Und das zweite ist der Wunsch, dem Leben eine Struktur und eine gute Ordnung zu geben. Das ist ein wichtiges Stichwort für Geistliche Begleitung heute – wo wir so viel durch Spontaneitäten und Präsenzen geprägt sind – zu üben: „Wie kann ich meinem Leben eine Form und meinem Glauben ein Format geben. Im Sinne einer guten Tagesrhythmik oder Wochenrhythmik.
Wie sprechen Sie mit Menschen, die keine religiöse Sprache haben, von Gott?
Zunächst mal stottern wir ja alle. So leicht lässt sich heute über diese Fragen nicht sprechen. Was ist der Sinn des Lebens? Was ist das, was mir auf die Schultern gelegt wird? Was heißt eigentlich kreatürliches Glück und Zufriedenheit in meinem Leben? Woraufhin bin ich unterwegs? Was ist meine Bestimmung? Gehe ich den Weg allein oder mit anderen? Der geistliche Begleiter teilt mit den Menschen, die zu ihm kommen, eine gewisse Vorsicht, eine Verhaltenheit und ein Suchen nach dem Wort, was dann vielleicht das Grundstichwort der Situation ist, in der sich ein Mensch befindet.
Ist man in so einem Moment offener für ein Bibelwort?
Wenn jemand beispielsweise meint, nicht genügend zu glauben, nicht genügend zu lieben, nicht genügend zu hoffen, dann fällt mir das Wort vom kleinen Senfkorn ein, was ganz kurz, aber von einer großen Dichte ist. Das Senfkorn wird zu einem großen Baum. Und diese Lücke dazwischen ist nicht Anstrengung, sondern vielleicht ein Horizont des Wunders, nämlich zu wachsen. Ich ahne, dass ich mit dem kleinen Korn in der Hand tatsächlich auch schwierige Situationen bestehen kann und Zutrauen zu mir selbst und zu Gott haben kann.