Abendsegen: Fotofieber

Abendsegen: Fotofieber

Die große Anzahl der fotografischen Selbstportraits, ja überhaupt die unausgesetzte Dokumentation des eigenen Lebens mittels Foto und Handykamera ist ein allgegenwärtiges Phänomen. Wollen wir uns wie Stars fühlen? Die glücklichen Momente festhalten? Gute Stimmung demonstrieren? Oder uns einfach nur vergewissern, dass es uns gibt? Oft posten Leute tolle Spaßfotos von einer langweiligen Party ins Internet. Dann wollen sie sich und anderen versichern, dass sie ein intensives und aufregendes Leben führen.

Liegt da der Hund begraben? Ist diese ständige Knipserei eine Sehnsucht nach mehr Leben? Ich ertappe mich häufiger dabei, schöne Momente fast zu verpassen, vor lauter Kamera und Co. Ich will sie danach nocheinmal genießen, die schöne Aussicht vom Schiff oder vom Gipfel. Dafür reichen aber auch ein bis zwei Bilder und nicht die 97, die ich danach aussortieren muss.

Ich denke, wir sollten uns öfter einmal gegen das Fotografieren entscheiden. Wir könnten diesen tollen Moment, die schöne Aussicht, die besondere Lichtstimmung oder ein unerwartetes Lächeln, das uns erreicht, einfach genießen. Wir könnten tief durchatmen und versuchen, dieses WOW-Gefühl zu spüren. WOW, das Leben ist jetzt toll – und es gibt mich – jetzt!

RBB, 2. Juni 2014

 

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